Entwicklung einer sozialen und nachhaltigen Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) nach 2020

BDM-Position: Eckpunktepapier GAP

BDM-Eckpunktepapier GAP nach 2020

Vorbemerkung

Obwohl auf breiter Ebene Einigkeit in der Analyse besteht, dass die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) angesichts knapper werdender Finanzmittel und gleichzeitig wachsender Aufgaben und Herausforderungen für die Landwirtschaft dringend reformiert werden muss, lassen viele Diskussionsansätze befürchten, dass einmal mehr ein „Reförmchen“ statt einer echten Reform mit grundlegenden Änderungen am Ende eines langen Reformprozesses stehen wird.
Schon jetzt werden viele der grundlegenden, selbstgesteckten Ziele der GAP nicht oder nicht vollständig erreicht, während die Zielvorgaben der GAP im Laufe der Zeit immer wieder erweitert und ergänzt wurden.
Der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter bekennt sich ausdrücklich zur GAP, hält aber eine grundlegende Reform für nötig, die auch die Frage stellt, was die GAP leisten kann und was eben nicht. Mit einer Beschränkung auf Umschichtungs- und Umverteilungsdiskussionen wird es jedenfalls nicht gelingen, die zahlreichen Aufgaben, die eine multifunktionale Landwirtschaft in Zukunft erfüllen soll, zu meistern. Das Grundproblem: Jeder Versuch, das fehlende Markteinkommen in der Landwirtschaft mit öffentlichen Geldern auszugleichen, ist längerfristig zum Scheitern verurteilt.

Bewertung der vergangenen Reformen

An erster Stelle in Artikel 33 der Römischen Verträge stand 1962 noch das Ziel der Steigerung der Produktivität der Landwirtschaft durch Förderung des technischen Fortschritts, Rationalisierung und den bestmöglichen Einsatz der Produktionsverfahren, insbesondere der Arbeitskräfte. An zweiter Stelle stand die Erhöhung des Pro-Kopf-Einkommens der landwirtschaftlichen Bevölkerung, um eine angemessene Lebenshaltung zu gewährleisten. Als weitere Ziele wurden genannt

  • die Märkte stabilisieren
  • die Versorgung sicherstellen
  • für die Belieferung der Verbraucher zu angemessenen Preisen Sorge tragen.

Drei der fünf genannten Ziele wurden erreicht: Nie mussten die Verbraucher einen geringeren Einkommensanteil für Nahrungsmittel ausgeben als heute. Die  Steigerung der Produktivität der Landwirtschaft ist exorbitant, der daraus folgende Strukturwandel in der Landwirtschaft und damit verbunden auch der Abbau von Arbeitsplätzen sind beispiellos. Die Versorgung, vor allem der Ernährungsindustrie mit billigen „Rohstoffen“, scheint mehr als sichergestellt. Das Produktionsvolumen der EU-Landwirtschaft wird mittlerweile durch den sehr umfangreichen Import von Nährstoffen aus Drittländern, beispielsweise in Form von Futtermitteln, immer weiter ausgeweitet. Die EU-Importfuttermittel entziehen den Drittländern mehr als 50 Mio. ha Anbaufläche für die eigene  Nahrungsmittelproduktion. Das entspricht rund dem Dreifachen der landwirtschaftlichen Nutzfläche Deutschlands. Die daraus produzierten Erzeugnisse müssen in zunehmendem Maße wieder in Drittstaaten exportiert werden. Diese Form der Produktivität der EU-Landwirtschaft bleibt nicht ohne Auswirkungen auf die Umwelt und Lebensgrundlagen in Entwicklungs- und Schwellenländern.

Trotz aller Anstrengungen wurde das Ziel, den in der Landwirtschaft tätigen Menschen ein ihrem Umfeld entsprechendes Einkommen zu ermöglichen, nicht erreicht.  Das für die Lebenshaltung verfügbare Pro-Kopf-Einkommen der Landwirte wird seit Jahren nicht mehr veröffentlicht, ein Grund dafür könnte der sehr deutliche Abstand zum allgemeinen Niveau sein. Darüber kann auch die Wertsteigerung im Bereich von Boden und Immobilien in einigen Regionen nicht hinwegtäuschen.
Es handelt sich dabei in erster Linie um einen nominellen Vermögenszuwachs, der für aktive Betriebe allenfalls als Sicherheit für die Aufnahme neuer Kredite werthaltig ist. Ihre Veräußerung würde den Verlust der Produktions- und somit Erwerbsgrundlage bedeuten. Gleichzeitig bedingen steigende Bodenpreise immer auch höhere Kosten für aktive Betriebe, die Flächen kaufen oder pachten wollen oder müssen.

Ebenfalls nicht erreicht wurde das Ziel, die Märkte zu stabilisieren. Drei Milchmarktkrisen seit 2009 sprechen eine deutliche Sprache, vor allem auch die Intensität der Marktkrise 2015/16.

Einschneidende Veränderungen wurden mit der MacSharry-Reform 1992 bei der Gemeinsamen Agrarpolitik durch Veränderungen in der Gemeinsamen Marktordnungen der EU und durch die Bindung der Agrargelder an die Fläche und eine Abkehr von produktbezogenen Zahlungen eingeführt. Mit der Gewährung von Direktzahlungen sollte die EU-Landwirtschaft auf dem Weg zu einer weltweit wettbewerbsfähigen Kostenstruktur unterstützt werden. Geplant war, diese Wettbewerbsfähigkeit bis zur Jahrtausendwende erreicht zu haben und damit einkommensstützende Agrargelder/Direktzahlungen sukzessive
abbauen zu können.

Mit der Fortschreibung der GAP 2020 wären annähernd drei Dekaden vergangen, ohne dieses Ziel auch nur im Ansatz erreicht zu haben. Statt das landwirtschaftliche Einkommen vorrangig über Markterlöse zu erzielen, wurde die EU-Landwirtschaft geradezu abhängig von den Agrargeldern der 1. und 2. Säule – verbunden mit einem großen Bürokratie- und Kontrollaufwand. Die mit dem Milchquotenausstieg (Soft-Landing-Prozess) verbundene deutliche Ausweitung der EU-Milchproduktion hat den globalen Milchmarkt sozusagen überflutet und die Marktkrisen sehr stark mitverantwortet. Die Milchviehhalter als maßgebliche Garanten für vitale ländliche Räume wurden durch die Krisen wirtschaftlich sehr stark geschädigt. Eine der Folgen: Immer mehr bäuerliches Eigentum geht in die Hand
von außerlandwirtschaftlichen Investoren über.

Die ursprüngliche Zielsetzung der EU hat sich im Laufe der Zeit erweitert. Die multifunktionale Rolle der europäischen Landwirtschaft rückt zunehmend stärker in den Blickpunkt und bedeutet weitere Aufgaben, um die sich ändernden Erwartungen der Gesellschaft erfüllen zu können. Die europäischen Milcherzeuger werden mit immer höheren Anforderungen an ihr Produkt, aber auch den Produktionsprozess konfrontiert. Klima-, Umwelt-, Natur- und Tierschutz und soziale Ansprüche werden von Politik und Wirtschaft eingefordert. Die Erfüllung dieser Standards verursacht ständig steigende Produktionskosten, die aufgrund der Stellung der Milcherzeuger am Markt und laufend wiederkehrender Angebotsüberhänge allein zu Lasten der Erzeuger gehen und von diesen nicht durch entsprechend steigende Erlöse ausgeglichen werden können.

Auch die Liberalisierung des EU-Milchmarktes führt in diesem Zusammenhang zu steigendem Druck auf die Milcherzeuger. Der Absatz des Angebotsüberschusses und die steigende Exportorientierung der Milchindustrie auf Drittlandsmärkte bringen die europäischen Milcherzeuger auf dem Weltmarkt in direkte Konkurrenz zu Anbietern aus Staaten, in denen die Milcherzeugung zu weitaus geringeren Standards erfolgt.

Das Einkommen der Milcherzeuger ergibt sich schon heute zu 50 Prozent oder mehr aus nationalen und europäischen Zahlungen. Dennoch hat der Strukturwandel angesichts der wiederkehrenden Krisen am Milchmarkt weiter zugenommen. Die Frage nach der Zukunftsfähigkeit eines solchen Konzeptes ist nicht mehr zu übersehen. Gerade die Tierhalter stehen unter einem starken gesellschaftlichen Druck. Der wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung hat im Jahr 2015 in seinem Gutachten zur Nutztierhaltung einen zusätzlichen Bedarf an jährlichen Finanzmitteln von 3 bis 5 Milliarden Euro beziffert, der von den Landwirten zur Weiterentwicklung benötigt wird. Angesichts des gesamten Volumens von jährlich 6,3 Milliarden europäischer Mittel für alle Förderbereiche der Landwirtschaft
und des ländlichen Raums muss die Frage gestellt werden, wie insbesondere von den Tierhaltern der finanzielle Bedarf für die Weiterentwicklung der Tierhaltung und zusätzlich der finanzielle Bedarf für mehr Maßnahmen zum Schutz von Umwelt, Boden, Wasser und Klima aufgebracht werden soll.

Die bisher versuchten Reformen zielten vor allem auf eine Umverteilung der Gelder ab. Eine grundlegende Neuausrichtung der GAP scheiterte auch am Widerstand der Verbände der Agrar- und Ernährungsindustrie. Diese profitierte in erster Linie von den günstigen bzw. oft verantwortungslos niedrigen Erzeugerpreisen für landwirtschaftliche Erzeugnisse. Die Ausgestaltung der GAP und der Gemeinsamen Marktordnung ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass in regelmäßig wiederkehrenden und relativ kurzen Abständen massive Marktkrisen eintreten und immense wirtschaftliche Verluste für die Landwirtschaft und ländlichen Räume in der EU verursachen.

Notwendige Zieldefinition

Elementare Veränderungen sind nötig, das zeigen die Fehlstellungen bzw. nicht erreichten Ziele der GAP deutlich.
Dafür ist die Definition klarer Ziele, die erreicht werden sollen, nötig.
Aus Sicht des BDM müssen bei der Neuausrichtung der GAP die wirtschaftlich nachhaltige Weiterentwicklung der Landwirtschaft und vitale ländliche Räume im Vordergrund stehen. Es gilt Marktbedingungen zu gewährleisten, die Marktzugänge schaffen und so eine größtmögliche Vielfalt an Strukturen zu erhalten. Schlüsselfunktion, um gleichzeitig auch Tierwohlaspekte und Ziele des Klima-, Natur- und Umweltschutzes realistisch umsetzen zu können, hat das Einkommen der Landwirte. Umverteilungsdiskussionen helfen nicht weiter. Die Landwirte brauchen insgesamt mehr Wertschöpfung, die ganz überwiegend über den Markt generiert werden können muss. Nur wenn nicht ein Großteil der Agrargelder für die reine Existenzsicherung der landwirtschaftlichen Betriebe verwandt werden muss, bestehen der nötige Gestaltungsspielraum und das ausreichende Finanzvolumen, um deutliche Verbesserungen im Bereich der anderen GAP-Ziele zu erzielen.

Wie müssen erste Schritte aussehen?

Gemeinsame Marktordnung

Um die genannten Zielsetzungen der zukünftigen EU-Agrarpolitik auch nur im Ansatz verwirklichen zu können, ist bei der Weiterentwicklung der GAP das Hauptaugenmerk auf die GMO zu richten. Im Rahmen der bestehenden Agrarmarktpolitik und ihrer Ausrichtung auf globale Wettbewerbsfähigkeit versucht man, Verluste, die durch niedrige Erzeugerpreise und Marktkrisen verursacht werden, über Direktzahlungen auszugleichen oder zumindest zu minimieren. Dieser Versuch bleibt ein Versuch – er ist insbesondere im Bereich der tierhaltenden Betriebe komplett gescheitert.
Bei der Ausgestaltung der GMO müssen daher Instrumentarien geschaffen werden, die vor allem die Wiederherstellung eines globalen Gleichgewichts von Angebot und Nachfrage ermöglichen können. Die immer wiederkehrende Situation, dass aufgrund einer zu hohen EU-Produktion massive Marktungleichgewichte entstehen, die auch Auswirkungen auf die globalen Warenströme haben, ist entsprechend zu berücksichtigen. Das schon bestehende Sicherheitsnetz für EU-Agrarmärkte ist um Instrumente zu erweitern, die in Marktkrisenphasen eine zeitlich befristete Begrenzung der Produktion von landwirtschaftlichen Erzeugnissen ermöglichen.
Erst wenn die GMO so ausgestaltet ist, dass die betriebliche Wertschöpfung für die Landwirte in erster Linie über die Verkaufserlöse zu erzielen ist, besteht Spielraum, die Agrargelder effizient für eine echte Gestaltung der GAP-Ziele einzusetzen (Erhalt und Schaffung von neuen Arbeitsplätzen, intensivere Anreize für Umwelt-, Natur- und Klimaschutz, Förderung spezieller Regionen/Anbaumethoden etc.).

GAP mit Säulenstruktur fortführen?

Die Säulenstruktur der GAP hat zu Verteilungsungerechtigkeiten und damit zu heftigen Diskussionen geführt. Diskussionsstoff bietet vor allem die reine Flächenbindung der Direktzahlungen ohne Berücksichtigung der sehr unterschiedlichen Leistungen der verschiedenen Sektoren der Landwirtschaft. Tierhaltende Betriebe, und vor allem milchviehhaltende Betriebe, erbringen einen wesentlich höheren Beitrag zum Erhalt der Vitalität der ländlichen Räume. Milchviehhaltung ist investitionsintensiver und benötigt ganzjährig vielfältige Dienstleistungen im vor- und nachgelagerten Bereich. Sie bindet und erhält damit viele Arbeitsplätze und trägt maßgeblich zu lebendigen Strukturen im ländlichen Raum bei. Diese Leistungen sind bei der zukünftigen Ausgestaltung ebenfalls zu berücksichtigen.

Langfristige Perspektive

„Wir sorgen für Ernährungssicherheit und erbringen Gemeinwohlleistungen, die über die Markterlöse nicht bezahlt werden“, reicht als Begründung der Agrargelder gegenüber der Gesellschaft und dem Steuerzahler nicht mehr aus, vielmehr müssen konkret benannte Leistungen der Landwirtschaft dargelegt werden. Neben den Maßnahmen für Klima-, Naturund Umweltschutz sind unbedingt auch soziale Aspekte mit einzubeziehen.

Zukünftig muss im Rahmen der GAP der Ausgestaltung der Gemeinsamen Marktordnung wieder wesentlich mehr Gewicht zukommen. Niemand will zurück in die Zeit vor der MacSharry-Reform mit Exporterstattungen und ausufernden Interventionsbeständen. Die aktuell in den Interventionslagern liegenden Magermilchpulver-Bestände von rund 350.000 Tonnen haben bereits eine sehr bedenkliche Höhe mit entsprechend negativer Marktwirkung erreicht.

Kurz zusammengefasst:

  • Marktkrisen-Management-Konzept in der GMO festschreiben
    Aufgrund der Erfahrungen der letzten 10 Jahre und der Erkenntnis, dass in
    Krisenphasen zeitlich befristete Mengenbeschränkungen zur schnellen Wiedererlangung eines Marktgleichgewichts unabdingbar sind, sind diese sofort zu installieren. Die daraus in den nächsten 2-3 Jahren gewonnenen Erfahrungen sind bei der GAP 2020 in die Weiterentwicklung der GMO  einzubinden/festzuschreiben.
  • Agrargelder erhalten durch die Honorierung konkret zu benennender Leistungen
    Das Volumen der Agrargelder wird für die zahlreichen Zielsetzungen und wachsenden Aufgaben weiter nötig sein, um externen, negativen Faktoren für Boden, Wasser und Luft zu begegnen, die sich aus der Liberalisierung und strikten Ökonomisierung der Landwirtschaft ergeben. Dazu bedarf es eines vollkommen anderen Systems der Verteilung: Das Gießkannenprinzip ist nicht zu halten. Besonderes Augenmerk muss auf die sozialen Leistungen der Milchviehhalter für die Vitalität der ländlichen Räume gelegt werden. Der Erhalt regionaler Wirtschaftskreisläufe, von Arbeitsplätzen im vorund nachgelagerten Bereich und auf den Höfen, muss bei der Berechnung der Agrargelder berücksichtigt werden.
  • Mehraufwand muss werthaltig sein
    Das bisherige System in der zweiten Säule, mit den zur Verfügung stehenden Geldern nur einen Ausgleich des Mehraufwandes für die Einhaltung der Vorgaben zu bezahlen, muss umgestellt werden auf ein Anreizsystem: Leistung muss sich lohnen!
  • Umsetzungsreihenfolge beachten
    Zunächst muss die GMO grundlegend reformiert werden. Sie muss Basis des Einkommens der Landwirte sein, ist in der aktuellen Ausgestaltung aber nicht einmal
    geeignet, Krisen entgegenzuwirken. Nur wenn hier wichtige Reformschritte unternommen werden, kann man die GAP 2020 so gestalten, dass die vielfältigen
    Ziele der Gemeinsamen EU-Agrarpolitik erreicht werden.

Schlussbemerkung:

Der Umbau der GAP von seiner Zwei-Säulen-Struktur hin zu einem System, dass sich vorrangig eine gezielte Honorierung von konkret zu benennenden Leistungen der Landwirtschaft zum Ziel setzt, wird vieler Diskussionen und Abwägungen bedürfen. Widerstände wird es vor allem von Seiten der Verarbeitungsindustrie und deren Interessensvertretungen geben. Aus bäuerlicher Sicht muss zunächst mit der Weiterentwicklung der GMO hin zu wesentlich stabileren Märkten die Möglichkeit geschaffen werden, das Haupteinkommen aus dem Verkauf der Produkte erzielen zu können. Damit haben die Bäuerinnen und Bauern den finanziellen Spielraum, tiefgreifende Veränderungen der GAP nicht nur mitzutragen, sondern auch umzusetzen.

Die Milchviehhalterinnen und -halter des BDM e.V.

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