Stellungnahme des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter e.V. (BDM): Warum wir nicht zu den angekündigten Protestaktionen vor Lidl aufrufen

Die aktuelle Milchkrise bringt viele Milchviehhalterinnen und -halter in eine existenzielle Lage. Die Betroffenheit, die Frustration und die Motivation derjenigen, die für ihre Anliegen auf die Straße gehen möchten, teilen wir.

Jede Entscheidung, an Protesten teilzunehmen und damit die Situation der Milchviehhalterinnen und Milchviehhalter öffentlich zu machen, verdient Respekt.
Gleichzeitig möchten wir transparent erläutern, warum der BDM dennoch NICHT zu Protesten vor Lidl & Co. aufrufen wird:

1. Die Ursachen der Milchkrise liegen nicht beim LEH – sondern in den Übermengen.
Die zentrale Ursache der Krise sind die Mehrmengen am Markt, die den Milchpreis massiv unter Druck setzen. Der Lebensmitteleinzelhandel (LEH) nutzt die niedrigen Preise im Kampf um Wettbewerbsanteile, aber er verursacht die Marktkrise nicht. Die Preissenkungen des LEH folgen dem Preisverfall, der sich weit früher schon an den Börsen abgezeichnet hat.

2. Die Proteste beim LEH verschieben den Fokus auf Schuldfragen – nicht auf Lösungen.
Ein Protest vor Lidl verschiebt die Diskussion automatisch auf Schuldfragen. Doch aus den vergangenen Milchkrisen wissen wir:

• Der LEH hat nie Lösungsansätze geliefert, weder in dieser noch in früheren Krisen.
• Selbst wenn der LEH die Butter- oder Milchpreise entgegen der realen Marktentwicklung freiwillig erhöhen würde, würde das die Marktkrise nicht beseitigen, da nur rund ein Drittel der Milch in Form von Butter, Käse, Quark, Trinkmilch, Joghurt etc. in den LEH geht – der Rest fließt in den Drittlandsexport und die Verarbeitungsindustrie/Großverbraucher.
• Immer wenn in früheren Krisen die Schuld Richtung Handel geschoben wurde, hat das politisches Handeln verlangsamt, nicht beschleunigt. Bei allen vergangenen Krisen hat der Bauernverband, wenn er endlich eine Krise anerkannt hat, die Schuld allein auf den LEH geschoben und damit die Verantwortung von Molkereien und Politik abgelenkt. Das Ergebnis: Viel Zeitverlust, bevor politische Maßnahmen ergriffen wurden.

Wir möchten diese Verzögerung diesmal vermeiden, denn jeder Tag, an dem nicht für eine wirksame Lösung gearbeitet wird, vergrößert die Verluste der Milchviehhalterinnen und Milchviehhalter.

3. Der „Umweg über den LEH“ schwächt den Druck auf die Politik.
Wenn die Proteste sich auf den Handel richten, geraten die eigentlichen Lösungsansätze und Verantwortlichkeiten aus dem Blick der Öffentlichkeit und der Politik.
Dadurch

• fokussieren Medien auf falsche Verantwortliche,
• verliert die politische Ebene an akutem Handlungsdruck
• und wertvolle Zeit geht verloren.

Für eine schnelle Lösung müssen wir den Druck dort aufbauen, wo die entscheidenden Stellhebel liegen: in der Politik.

4. Eine Lösung ist politisch bereits vorhanden – und sofort umsetzbar.
Der BDM setzt sich für die Aktivierung des in der GMO (Gemeinsame Marktorganisation) verankerten Freiwilligen Lieferverzichts gegen Entschädigung ein. Dieses Instrument ist rechtlich verankert, technisch vorbereitet und sofort startklar – es muss lediglich politisch aktiviert werden. Seine marktentlastende Wirksamkeit hat es bereits in der Milchkrise 2016 bewiesen.

Vorteile des Freiwilligen Lieferverzichts auf einen Blick:

Unmittelbar wirksam: Es setzt direkt am Mengenproblem an – dort, wo die Krise entsteht.
Befristet: Eine Maßnahme, die nur für die Dauer der Krise gilt.
Freiwillig: Jeder Betrieb entscheidet selbst, ob er teilnehmen möchte.
Organisierte Mengenreduzierung: Eine koordinierte Vorgehensweise, die wirksam am Kernproblem der Übermengen ansetzt.
Gegen Entschädigung: Betriebe, die weniger liefern, erhalten einen Ausgleich.
Steuerneutral: Die Finanzierung erfolgt aus dem EU-Krisenfonds, der bereits im Direktzahlungsvolumen eingestellt ist – ohne zusätzliche Steuerbelastung.
Sofort aktivierbar: Die rechtlichen und organisatorischen Grundlagen liegen vor.
Technisch vorbereitet: Die Umsetzung ist bereits in der HIT-Datenbank hinterlegt.
Bürokratiearm: Einfache und klare Abwicklung für die teilnehmenden Betriebe.
Hohe Effizienz: Durch organisierte Mengenreduzierung reichen wenige Prozent Mengenkürzung aus, um den Markt zu stabilisieren.

Dieses Instrument ist damit das einzige kurzfristig wirksame Mittel, um den Milchmarkt schnell zu entlasten und damit eine Ausweitung der Wertschöpfungsverluste für die Milchbetriebe zu verhindern. Auf die Molkereien können wir nicht setzen, wenn es darum geht, die Mehrmengen einzudämmen, das wurde wiederholt deutlich.

Fazit:
Wir wollen uns darauf konzentrieren, Lösungen durchzusetzen statt Schuldige zu markieren, weil nur das Verluste für die Betriebe verhindern kann. Die politische Aktivierung des freiwilligen Lieferverzichts ist der wirksamste und unmittelbarste Ansatz, um die Milchkrise schnell zu entschärfen. Darauf richten wir unsere Arbeit – entschlossen, konstruktiv und im Interesse aller Milchviehbetriebe.
Dabei werden wir uns auch dafür einsetzen, dass der LEH uns bei unseren politischen Forderungen für eine Marktentlastung unterstützt. Wir wollen uns darauf aber nicht verlassen, sondern wollen unsere strategische Energie und unsere Proteste vor allem auf die richten, die den Hebel in der Hand haben, unsere Situation kurzfristig zu verändern – die politischen Entscheidungsträger. Wir erinnern daran: Obwohl es komplett aussichtslos schien, hat unser permanenter Druck 2016 die Politik bewegt, den Freiwilligen Lieferverzicht gegen Entschädigung kurzfristig einzuführen – leider zu spät. Aber genau diese Verspätung wollen wir diesmal verhindern!

 

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